Selbstmord - Selbsttötung - Suizid - Freitod? Eigene Einstellung?

Keine seltene Einsatzsituation:

Täglich sterben in der Welt mehr als 1000 Menschen durch Selbsttötung; die Zahl der Selbsttötungsversuche ist um das fünf- bis achtfache (12-20fache?!) höher.

BRD: 2013 starben 10.076 Menschen durch die eigene Hand. Das waren weitaus mehr als Verkehrstote (3339).

USA: jede 24. Minute eine Selbsttötung.

Im Durchschnitt: Selbsttötung beim Mann (immer noch) häufiger als bei der Frau (dort aber stärker im Steigen begriffen!); beim alten Menschen öfter als beim jungen, beim isolierten (Vereinsamung, Scheidung, Witwenstand, Kinderlosigkeit) öfter als bei dem, der in guten zwischenmenschlichen Beziehungen lebt, in der Stadt häufiger als auf dem Land. Steigender Lebensstandard führt zu steigender Selbstmordrate, aber auch schwere Wirtschaftskrisen. Politische Umstürze, Verfolgung durch Diktatur erhöhen, in Kriegen sinkt die Rate. In allen Ländern Frühsommergipfel: Paradoxerweise steigt also die Selbstmordtendenz in der Zeit des erwachenden Lebens.

Der Mensch dürfte das einzige Lebewesen sein, welchem es möglich ist, sich selbst den Tod zu geben.

Schwerwiegendste Entscheidung: zwischen Sein und Nichtsein.

Tier kennt keinen Selbstmord: hat keine Selbstreflexion, keine Vorstellung vom eigenen Ich, kein bewußtes Erleben der Beendbarkeit der Existenz.

HBM als Einsatzleiter FW: enormer Leistungsdruck

Emotionale Belastung:

Als Einsatzleiter FW stehen Sie unter enormem Leistungsdruck: Wenn der Suizidant beim Hinkommen zur Einsatzstelle noch steht, hat man beste Chancen, daß er nicht springt. Sie werden mit einem Menschen konfrontiert, der sich einer Lage befindet, in der er weder sterben noch weiterleben möchte. Das ist ein Sonderfall.

Arbeit in der Öffentlichkeit:

Erschwerend kommt hinzu, daß dieser Konflikt vom Betroffenen meist in der Öffentlichkeit ausgetragen wird, was die Einsatzsituation erschwert. Die Einsatzkräfte werden dann durch Schaulustige, Medien und den Zugzwang in besonderen Streß versetzt.

Zeitdruck: Wie lange kann er sich noch halten?

Witterungseinflüsse: Kälte, Nässe, Eis (Abrutschen)

Arbeit in großer Höhe:

Hinzu kommt die oft erhebliche Höhe, aus der der Sturz angedroht wird (Brücke, Baukran, Hochhaus). Falls vorhanden, spezielle Höhenrettungsgruppen der FW alarmieren. In besonderen Fällen kann der Einsatz der Polizei mit einem Sondereinsatzkommando (SEK), z.B. bei bewaffneten, betrunkenen oder schwer zugänglichen Personen, erforderlich sein.

Organisatorisches:

Nachalarmieren (Inspektor, Oberbeamter vom Dienst, POL, RD-NA, Notfallseelsorger, polizeipsychologischer Dienst usw).

Sicherheitsvorkehrungen treffen:

Absperren: Zurückdrängen Schaulustiger, da Zurufe dieser oft betrunkener Personen provozieren: "Nun spring doch endlich, wenn du dich traust!" - Verkehr umleiten durch POL.

Aufbauen von Rettungsgeräten: Sprungretter, Aufstellen der Drehleiter (keine Sprungtücher, da zu hohe Verletzungsgefahr!) Alle Sprungrettungsgeräte haben Einsatzgrenzen, die schon nach wenigen Höhenmetern keinen sinnvollen Erfolg mehr gewährleisten.

Vorgehen absprechen mit POL und RD/NA:

Die Schritte der Kontaktaufnahme und die ggf. parallel eingeleiteten technischen Maßnahmen müssen mit allen Beteiligten abgesprochen werden. Einigung, wer spricht mit Person, wie und von welchem Ort aus

Kontaktaufnahme:

Es gibt kein Patentrezept, da die Vorgeschichte jedes Suizidanten und seine Probleme zu verschieden sind. Ich muß mich auf jeden "Springer" individuell neu einstellen.

Kein Megaphon nehmen, da der Betroffene nicht mit dem gleichen Mittel antworten kann, die Reichweite oft überschätzt wird und er nicht verstanden wird. Außerdem hören dann Schaulustige und Presse/Medien mit. Besser: Handfunkgerät oder Telefon, falls möglich. Oder Sprechen von Drehleiter aus. Immer Kontakt über einen zweiten Mann im Hintergrund, der über Handfunksprechgerät die Verbindung nach "unten" hält.

Eigensicherung beachten!

Wichtig: Vor der ersten Kontaktaufnahme immer erst versuchen, Informationen bei Umstehenden, Nachbarn, Familienmitgliedern usw. einzuholen: Wie heißt der Mann? Was ist passiert?

Nie überstürzt handeln und den Betroffenen durch plötzliches Auftauchen in Panik versetzen! Ankündigen, daß Sie kommen und mit ihm reden wollen. Polizeiuniformen lösen oft starke Aggressionen aus, vor allem bei alkoholisierten Personen. (evtl. Uniformjacke ausziehen!)

Bevor Sie sich nähern, sein Einverständnis einholen!

"Kann ich ein bißchen näherkommen?!" Er kann bestimmen, wie nahe Sie kommen, er hat hier die Autonomie, er kann die Situation gestalten!

Kontaktaufnahme

Grundsatz: So nah wie möglich und so fern wie nötig!

"Einen Schritt weiter, und ich springe!" - Keinesfalls auf jemanden zugehen, der zu springen droht!

Erste Kontaktaufnahme: Vorstellen mit Namen. Klarmachen, daß Sie als Mitmensch helfen wollen und nicht als Amtsperson. Sie bieten Hilfe an, vermitteln Hilfe durch andere und finden gemeinsam einen Weg fürs Weiterleben. Gesprächsbasis schaffen, Vertrauen zu gewinnen suchen. Deshalb: Keine unüberlegten Handlungen, keine unangekündigten Aktionen der Hilfskräfte.

Günstige Ausgangssituation, falls man den Namen der Person bereits unten erfahren hat und sich vorstellen kann: "Herr A., hören Sie bitte, ich heiße B..."

Falls man seinen Namen noch nicht weiß, diesen von ihm erfragen. "Wie soll ich Sie anreden?"

In welcher körperlichen Verfassung ist er? Wie lange kann er sich da halten? Zugriffsversuch aber nur bei hochgradiger Erschöpfung oder geistiger Verwirrung. Eigensicherung beachten!!! Rettungsknoten muß vorher unten angelegt worden sein. Sicherung durch zweiten und dritten Mann im Hintergrund bzw. im Drehleiterkorb.

Ein Überrumpeln des Suizidanten kann beim Scheitern der Aktion ein Springen in Panik hervorrufen und Sie selbst gefährden (Absturz durch Mitreißen!).

Bekommen Sie so möglichst schnell heraus, ob er Wahnvorstellungen hat (Psychose) oder nicht, z.B.: CIA verfolgt ihn, er hört Stimmen, erzählt abstruse Geschichten, innere Logik stimmt nicht. Bei einem Psychotiker ist es wichtig, daß Sie sich auf seine Wahninhalte einlassen. Argumentieren Sie nicht gegen den Wahn!!! So gewinnt er Vertrauen, da er sich ernstgenommen fühlt. Hinter seinem Wahn steht ja Angst, und diese Angst ist echt!!!

Gesprächsbasis - Vertrauen aufbauen!

Etwas anbieten: Zigaretten, Kaugummi, Essen, Trinken (kein Alkohol!)

Gesprächsimpulse:

"Was kann ich für Sie tun? Wie kann ich Ihnen helfen?" Nicht bedrängen oder werten: "Machen Sie doch keinen Unsinn, kommen Sie herunter!" Grundsätzlich per "Sie" anreden, es sei denn, er wünscht per "Du" angeredet zu werden.

Zum Reden bringen ("Talkdown!"): Was hat ihn in diese Situation gebracht? "Was ist passiert...?" - " Sie müssen sehr bedrückt sein, wenn Sie sterben wollen..."

Auch originelle und humorvolle Möglichkeiten, ohne jemanden lächerlich zu machen: "Ich bin ganz außer Atem vom Heraufklettern..." oder "Wie sind Sie denn hier herauf gekommen?" können den Betroffenen zum Reden bringen. Das Sprechen über Probleme hat einen therapeutischen Effekt und man erhält wichtige Informationen, z.B. ob der Betroffene alkoholisiert ist oder ob er Wahnvorstellungen hat, ob er einen (Ehe)partner,Verwandte oder Freunde hat, die er sprechen will (Unbedingt Namen, Adressen, Telefonnummern erfragen und über Funk versuchen, diese durch POL evtl. mit Sonderrechten herbeiholen zu lassen). Ihm sagen, daß diese Personen kommen, aber daß es dauert.

Oder will er mit dem Arzt, dem Pfarrer, einem Psychologen reden?! Pfarrer/in ist oft Person des Vertrauens, deshalb Notfallseelsorger gleich zu Beginn des Einsatzes nachalarmieren lassen, da dieser meist etwas länger braucht, bis er an die Einsatzstelle kommt (Fahrzeug von EZ mit Sonderrechten zum Abholen schicken lassen bzw. im Rendezvous-System Treffpunkt vereinbaren)

Ist die gewünschte Person (Partner, Verwandter usw.) eingetroffen, so muß auch dieses Gespräch vorbereitet werden. Nie sollte man die Person "blind" losstürmen lassen. Zunächst einmal ist es wichtig, die Beziehung zu dem Lebensmüden zu ergründen und herauszubekommen, ob die Person überhaupt willens oder auch in der Lage ist, mit dem Lebensmüden in Ihrem Sinn zu reden. Dies muß unten durch einen über die Lage durch Funk informierten zweiten Einsatzleiter (besser Pfarrer, Arzt, Psychologe) erfolgen - unbemerkt von dem "Springer" oben, und zwar für den Fall, daß die Person sich als ungeeignet erweist. Nicht auszudenken, wenn unerwartete Ausrufe erfolgen: "Soll er doch springen, ist mir egal. Spring doch, wenn du dich traust, dann hab ich wenigstens meine Ruhe vor dir!" - Bedenken Sie immer die Möglichkeit der Rache des Lebensmüden, der nur darauf wartet, vor den Augen der herbeigerufenen Person hinunterzuspringen (Bestrafung der Angehörigen).

Keine Tricks, keine Gewalt!

Keine paradoxe Intervention: "Springen Sie doch...!"

Das autoaggressive Verhalten kann sich auch schnell auf den anderen richten. Bei vorhandener Schußweite nie in Sichtweite, bei Messer nie in Reichweite gehen! Falls Sie den Erstkontakt aufgenommen haben, sich nicht ablösen lassen durch später am Einsatzort eintreffende Personen, es sei denn, der "Springer" ist damit einverstanden, daß "der Pfarrer/in" jetzt da ist und er mit ihm/ihr reden will.

Im Hintergrund bleiben zur Sicherung des anderen.

Das Gespräch allein kann den Einsatz zu einem positiven Ergebnis führen. Überlassen Sie es dem anderen, die Richtung des Gesprächs zu bestimmen. Hören Sie aufmerksam zu, zeigen Sie Interesse und Anteilnahme an der Person und den Problemen des anderen, fühlen Sie sich ein in seine Welt.

Keine Kränkung:

Frage: Wie kommt er aus dieser Situation raus, ohne sein Ansehen zu verlieren? Die Lösung darf ihn nicht kränken (Narzißmus!). Bieten Sie ihm eine Feuerwehreinsatzjacke an zum Überziehen beim Heruntergehen; so ist er nicht so schnell erkennbar für die Schaulustigen und die Presse und kann im Einsatzleitwagen verschwinden. "Wie wäre es eigentlich, wenn Sie jetzt mit mir heruntersteigen würden? Ich und meine Kollegen helfen Ihnen dabei." Falls er zustimmt, ihn sichern mit Rettungsknoten usw.

Versprechungen einhalten!

Machen Sie keine Versprechungen, die Sie nicht halten können!

Bieten Sie ihm etwas zu rauchen oder zu trinken oder einen Kaugummi an. Sagen Sie: "Es ist ja saukalt hier oben, frieren Sie nicht? Wir können unten im Warmen weiterreden." Halten Sie das dann aber auch ein. Oder Verabredung des Pfarrers, in der Wohnung, im Pfarramt weiterzusprechen.

Schon in dem Moment, wo sich der Lebensmüde Gedanken über Konsequenzen seines Handelns macht, hat er sich bereits für das Weiterleben entschieden. Die Angst vor einer Einweisung in eine "Klapsmühle" kann man bei Ansprache offen diskutieren und ihm hierzu ein Gespräch mit dem (unten wartenden) Notarzt oder einem Psychologen anbieten.

Juristisch:

Ein Suizidant muß vor sich selbst geschützt werden, das beurteilt ein Psychiater/Nervenarzt in der Klinik. Darauf hinweisen, daß er, wenn er freiwillig sich ins Krankenhaus (Psychiatrie) bringen läßt, er auch am nächsten Tag wieder entlassen werden muß auf seinen Wunsch. Bei einer Zwangseinweisung wegen Selbstgefährdung ist das anders! Da wird er erst entlassen, wenn der Arzt der Meinung ist, daß keine Selbstgefährdung mehr besteht (kann lang dauern) bzw. wenn eine Therapie (Suchtproblematik Alkohol/Drogen - Entzug usw.) gemacht wurde.

Strafverfolgung: Einsatzleiter POL einbeziehen - abklären

Bedenken zerstreuen wegen Übernahme von Einsatzkosten oder des Gesichtsverlusts bei Bekanntwerden der Tat.

Therapieangebot durch Arzt machen lassen

 


 

Person droht zu springen
entnommen Arbeitsblätter www.Feuerwehrseelsorge.de